Hier spricht Edgar Wallace: Mord ohne Leiche!

Edgar Wallace war ein britischer Kriminalschriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts – er schrieb unter anderem auch den Roman King Kong – und erfreute sich in der westdeutschen Nachkriegszeit erheblicher Wertschätzung, da seine Krimis in den Kinos der Bundesrepublik hoch und runter liefen – in Schwarz/Weiß und mit deutschen Schauspielern, die englische Namen trugen. Kinos waren in den 50er Jahren das Netflix der Wirtschaftswunderdeutschen, die sich wieder für jemand hielten und zwischen Heimatfilm und Krimi Orientierung suchten. Es gesellten sich die sehr freien Verfilmungen der Krimis Agatha Christies hinzu – mit Miss Marple im Mittelpunkt des Mordens. Heinz Rühmann als englischer Pater Brown bildete vielleicht den Höhepunkt dieser westdeutschen Kinomanie, die unterhielt und vor allem auch ablenkte von dem, was zur vor „gewesen“ war.
In dieser Traditionslinie kann das Stück „Mord ohne Leiche“ angesiedelt werden, welches am 19.10.2018 auf der Bühne des Copernicus Theatre Premiere hatte und am 20.10.2018 erneut aufgeführt wurde. Das Forum war keine Bühne, sondern ein Kino. Das aus dem Stück ins Publikum getragene Popcorn knisterte und krachte, wenn die Zuschauer ihre Portionen verzehrten. Die neue Popcorn-Maschine und eine rührige SMV sorgten für steten Nachschub und flugs balancierte man als Zuschauer schon die nächste Schachtel Popcorn im Schoss. Die Inszenierung versöhnte das traditionelle Kino mit dem Fernsehkonsum der Jetztzeit und feierte als Gewinnerin das Theater. Sitzt doch zu Beginn hinter einem Tuch verborgen das mutmaßliche Opfer. Das Schattenbild raucht Pfeife und schaut seinen Lieblingskrimi im Fernsehen, dessen Flimmern auf einen zweiten Vorhang projiziert wird – und stirbt erst einmal daran: auf einer Bühne, während die Zuschauer sich im Kino wähnen, selbst einen Krimi schauen und fleißig ihr Popcorn schlecken.

Impressionen der beiden Abende eingefangen von Amelie Göbel und Stefan Kirstätter

Nun entspinnt sich eine Mörderjagd, die von drei älteren Damen initiiert wird, da sie den Mord am Fenster beobachtet zu haben glauben. Bei Kaffee und Kuchen beschließen sie, das Gesehene zu melden. Mit fein eingesetzter Situationskomik unterbricht sich dabei das Stück selbst – in bestem Brechtschen Sinne – und erinnert den Zuschauer daran, darauf zu achten, wo er sich befindet und wie etwas geschieht und nicht so sehr darauf, was sich ereignet. Der Mann mit der Kiste (Malik Demir) stolpert, hüpft und grinst sich bravourös durch das Stück. Blümchen (Wiktoria Ludwiczak) springt aus ihrer Sekretärinnen-Schreibmachinen-Box und kommentiert die Handlung. Wie sie das tut ist unfassbar komisch und avanciert zu einem Highlight des Stückes … tststs!

Auf der Bühne und im Zuschauerraum liefern sich fortan die Inspektoren Hibbel und Lolly (Amelie Göbel, Nele Tremmel und Leonie Degen) ein Rennen mit Sherlock Holmes (Yasar Disibeyaz), dessen lakonisches an einen Weißclown erinnerndes Wesen durch den bodenständigen und clownhaften Dr. Watson (Fabian Ceh) aufgebrochen wird. Und wird wird die Holmessche britische Distanziertheit einmal nicht aufgebrochen, fliegt Popcorn. Fabian Ceh entwickelt während des Stückes eine Meisterschaft darin, Popcorn durch die Gegend explodieren zu lassen – und das sehr unprätentiös, tout en passant.
Still glänzt derweil Inspektor Lolly vor sich hin. Zu Beginn des Stückes von einer da noch valiumesken Leonie Degen in einen benebelten und trägen Charakter hinein gespielt, funkelt der gute Inspektor plötzlich, als ihm Hibbel für den Undercover-Einsatz eine Perücke überstülpt und des geliebten Lollys beraubt. Eine furiose Leonie Degen dreht den Lolly um, stellt ihn vom Kopf auf die Füße und reißt in wilden Dialektmärschen aus dieser Gelenkstelle heraus das Publikum mit.
Dazwischen und eigentlich mittendrin gibt es viel zum Mitraten. Wer die Intertextualität liebt und sowieso gerne nach Dingen sucht, die bekannt erscheinen, kommt auf seine Kosten. Die Referentialität feiert fröhliche Urständ. Lollys entzückender Lolly – Kojak – Hibbels Mantel und verträumtes Dirigieren – Columbo – dazu Musik aus den alten Pater Brown- und Agatha Christie-Filmen. Hier spricht Edgar Wallace! Der Text von Margret Völke und Rudolf Guder erhält so einen ganz anderen Flair.

Der Regisseur, Dr. Andreas Zinn, betritt gegen Ende in seinem geliebten Friesennerz die Bühne, findet seine Frau (Sofie Laier) und deren Popcornmaschine und hilft der Konsulin Frau Kleinschmidt, mit kühler Kante gespielt von Weronika Ludwiczak, den Fall aufzuklären und endlich eine Leiche zu finden.
Als das Theater beendet war, folgte ein berührender Auftritt von Ann-Marie Fehling, Sofie Laier und Yasar Disibeyaz, welche sich von der CopGym-Bühne von nun an zurückziehen und neue Betätigungsfelder suchen werden. Sie dankten Dr. Andreas Zinn für die gemeinsamen Jahre und schenkten ihm damit mehr als das eingerahmte Gurkenartefakt.
Zugleich zeigten sich viele Talente auf den Brettern des Forums. Fabian Ceh und Amelie Göbel debütierten, Emilia Schmitt übernahm zwei Rollen, Sandro Nizz interessierte mit seinem schelmenhaften Spiel, Elena Steinel und Annina Ceh werden bald mehr spielen als ältere Damen wie auch Louisa Hannemann und Alexia Fercal bald nicht mehr nur putzen werden.
Gedankt sei an dieser Stelle Thiemo Mehner, auf dessen editorischen Fertigkeiten der Soundtrack zurückging und der Volksbank Bruhrain Kraich Hardt für ihre Unterstützung der Plakate.
Hier sprach Edgar Wallace? Nicht so ganz. Hier spielte und tönte und popcornte die Theater AG … Copcorn! (Stefan Kirstätter)

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